Sandige Welttheorie

19. Dezember 2024

Über einen längeren Zeitraum haben wir uns in der Klasse intensiv mit der Erzählung 'Der Sandmann' von ETA. Hoffmann befasst. Wir haben die Erzählung gelesen, besprochen, diskutiert und interpretiert. Die zentrale Diskussion drehte sich um die Interpretation der Handlung. Wir haben uns mit den verschiedenen Bedeutungen und Aussagen der Erzählung befasst. Im folgenden Text möchte ich darauf eingehen, wie sich die individuelle Welttheorie jedes einzelnen auf die Interpretation die Erzählung auswirkt. Ausserdem möchte ich mich mit der Frage beschäftigen, ob es immer ein wahr oder ein falsch gibt.

Treffen Menschen aufeinander, gibt es schnell Meinungsverschiedenheiten. Die Wurzeln dafür reichen oftmals bis in die Kindheit zurück. Durch unterschiedliche Ansichten jedes Individuums und dessen individuelle Welttheorie, die aufgrund von inneren und äusseren Erfahrungen kreiert wird, hat jeder Einzelne eigene Vorstellungen davon, wie das Leben funktioniert. Nicht in jeder Welttheorie wird die Welt gleich repräsentiert. So entstehen unterschiedliche Weltanschauungen, welche schlussendlich zu den eigenen Wertvorstellungen und Ansichten des Lebens führen. Unsere individuelle Welttheorie ist ein stetiger Prozess, der bis zum Tod reicht. Wir sammeln im Laufe unseres Lebens dauernd neue Eindrücke, die wir in unserer Welttheorie eingliedern. Jedes Individuum hat eine eigene Vorstellung der Welt. Tendenziell aber pflegen wir vereinfachte Vorstellungen des Lebens und der Welt. Dies, weil der Mensch das Bedürfnis hat, Objekte und Prinzipien zu erklären.

Aufgrund von kombinierten Ereignissen schaffen wir uns unsere «eigene» Welt, in der auch unsere Meinungen priorisiert werden. Wir neigen dazu, unsere Meinung nach aussen zu vertreten und zu verteidigen. Selbst dann, wenn diese Meinung fehlerträchtig oder verzerrt ist, doch dies bleibt einem selbst oft verschlossen, weil man sich nur ungern von anderen Meinungen überzeugen lässt. Ist eine Meinung oder eine Vorstellung von einer Sache oder einem Menschen erstmals gesetzt, erachtet sie der Mensch als vollständig und fehlerfrei.

Die Interpretation von etwas läuft also nicht in jedem Menschen gleich ab. Zur Verdeutlichung ein Bezug zur Erzählung Person A hat eine Welttheorie, die auf vielen wissenschaftlichen Erkenntnissen beruht. Diese Person wird daher interpretieren, dass Nathanael Coppelius als Sandmann sieht, weil er ein Trauma erlitten hat oder weil er den Begriff Sandmann mit Coppelius verbindet, durch die Erzählungen seiner Mutter am Abend. Sie wird mit der Seite von Clara sympathisieren und eher ihre Sichtweise einnehmen, die rational ist. Diese Person ist der Überzeugung, dass Nathanael die Dinge falsch sieht.

Person B tritt aufgrund ihrer Erfahrungen mit einer anderen Sichtweise der Erzählung entgegen. Durch ihre Erfahrungen sieht sie die Meinung von Nathanael als absolut und hat keine Zweifel daran, dass er recht hat und Coppelius tatsächlich der Sandmann ist. Sie wird eher die Meinung von Clara nicht verstehen und sich fragen, wieso Clara Nathanael nicht versteht oder nachvollziehen kann. 

Dieses Beispiel zeigt, dass das individuelle Weltbild einen grossen Einfluss auf die Interpretation von Erzählungen und anderen Dingen im Leben hat. Sie sehen also das, was sie als individuelle Menschen für logisch halten oder den Diskussionsgegenstand für sie am besten erklärt. Bei jedem komplexen Gegenstand kann man sich also die Frage stellen, ob die eigene Ansicht tatsächlich richtig ist oder ob es doch mehrere mögliche Auffassungen gibt.

Im Zusammenhang mit der Erzählung „der Sandmann“ sieht man also, dass Nathanael aufgrund seiner Welttheorie Coppelius als den Sandmann ansieht. Dies, weil seine Mutter stets vom Sandmann gesprochen hat, als Nathanael und sein Bruder zu Bett gehen mussten. Als Nathanael Coppelius zu später Stunde dann gesehen hat, ging er davon aus, dass Coppelius der Sandmann ist. Weil Coppelius ein Mann war, der Angst in Nathanael ausgelöst hat, verband er den Sandmann mit etwas Schlechtem und fürchtete sich daher vor ihm.

In Bereichen, die frei interpretiert werden können, kann man also nicht davon ausgehen, dass die eigene Meinung absolut ist. Viele Faktoren spielen auf die eigene Interpretation ein, hauptsächlich aber die individuelle Welttheorie. Ein wahr oder falsch gibt es in solchen Bereichen nicht. Jedes Individuum interpretiert so, wie es für sich am logischsten ist. Versucht man auch andere Interpretationen zu verstehen, so sind dies ebenfalls Erlebnisse, welche die individuelle Welttheorie bereichern.

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