Im Zeitraum von einigen Wochen haben wir uns in der Klasse während des Deutschunterrichts intensiv mit dem Drama «Maria Stuart» von Friedrich Schiller beschäftigt. Ein Teil dieser Beschäftigung war die Analyse der Rolle des Volkes und wie es sich im Werk verhält. In diesem Blog soll es darum gehen, welche Rolle das Volk in der Schweiz heute trägt.
Das Volk im Werk «Maria Stuart» spielt eine auf den ersten Blick passive und ruhige Rolle. Bei genauerer Betrachtung aber wird klar, welche wichtige Bedeutung das Volk für das Werk trägt. Es erscheint nicht als handelnde Person, sondern wird von den anderen Figuren ins Werk eingebracht. Das Volk trägt die Rolle der moralischen Instanz. Es widerspiegelt eine Art Stimmungsbarometer der Handlungen und Entscheidungen, die von der Königin Elisabeth ausgehen. Die kleine Nebenrolle, die das Volk trägt, erlangt im Verlaufe der Handlung eine tiefere Bedeutung. Es dient als Projektionsfläche der politischen Spannungen und wird zur Stimme des Gewissens für Elisabeth. Alle Entscheidungen ihrerseits werden aufgrund möglicher emotionaler Reaktionen des Volkes getroffen. Denn ihre Herrschaft stützt sich auf die Zustimmung des Volkes, da ihr ein kirchlich legitimer Anspruch auf den Thron eigentlich fehlt.
Das Volk wird nicht als eine einheitliche Masse dargestellt, sondern als eine ambivalente Macht, die Maria Stuart für ihre Schönheit und ihren Mut liebt. Jedoch unterstützt es auch Elisabeth als rechtmässige, vom Volk akzeptierte Königin.
In diesem Drama zeigt der Autor Friedrich Schiller, dass das Volk manipulierbar ist. Die Meinung des Volkes schwankt. Es wird beeinflusst durch Angst, Propaganda und Gerüchte. Damit wird die Frage aufgeworfen, wie stabil die moralische Urteilsfähigkeit des Volkes in einem politischen System ist.
In einem starken Kontrast zum Werk steht die Rolle des Volkes in der heutigen Schweiz. Durch die direkte Demokratie wird dem Schweizer Volk eine weitreichende politische Macht erteilt, indem es durch eine Volksinitiative Gesetze anstossen kann oder über Referenden Entscheide des Parlaments absetzen und durch Abstimmungen die politische Richtung der Schweiz lenken kann. Das Volk wird nicht nur als moralisches Korrektiv verstanden, sondern als aktiver Gestalter der Politik. Schweizer Bürgerinnen müssen Verantwortung übernehmen, da sie sich über Wahlen und Abstimmungen informieren müssen, um ein aktiver Teil der demokratischen Praxis zu sein. Ausserdem lassen sich Bürgerinnen nicht so schnell von Propaganda leiten wie das Volk im Werk. Dies aufgrund mehrerer zuverlässigen Informationsquellen, zu denen die Bürger*innen Zugang haben. Wo in «Maria Stuart» das Volk zwischen Loyalität und Ohnmacht schwankt, ist es in der Schweiz souverän.
Schillers Darstellung des Volkes ist geprägt von Idealismus, aber auch von Skepsis bezüglich der Verlässlichkeit der Meinung des Volkes. Es besitzt jedoch ein moralisches Gewicht. Dennoch hat das letzte Wort in einem monarchischen System immer der Monarch oder die Monarchin, auch wenn die Meinung und Stimmung des Volkes einen starken Einfluss auf die Entscheidungen dessen hat. In der Schweiz ist das Volk nicht nur passiv involviert, sondern trägt aktiv zu den Entscheidungen, welche über das Land bestimmen, bei. Demokratie ist also kein Zustand, sondern ein Prozess, der Jahre dauern kann bis zur Entwicklung und basiert auf dem Vertrauen gegenüber dem Volk.
Quelle
Bild: Chat.gpt